Über die revolutionären Kräfte des Theaters mit Kindern
Über die revolutionären Kräfte des Theaters mit Kindern
Kampnagel Hamburg stellt Bühnenstücke mit Kindern für erwachsenes Publikum vor
Eine kleine, introvertierte Gemeinschaft mit seltsamen Ritualen in einem dystopischen Setting zwischen Bildschirmflimmern und Steinhaufen und ein illustres Team aus schrillen Einzelgänger-Typen inmitten eines kargen Trümmerfelds nach der Implosion des heilsversprechenden Schlaraffenlandes: Im Frühjahr 2016 waren auf Kampnagel unter dem Stichwort „GenerationISM“ u. a. die Produktionen „Eyes wide open“ der Hamburger Choreografin Barbara Schmidt-Rohr und „Exodus“ der Künstlergruppe SKART/Masters of the Universe zu sehen, zwei Arbeiten, in denen Kinder (auch) vor einem erwachsenen Publikum auftraten. Zwei künstlerische Handschriften, zwei unterschiedliche Konzepte, zwei komplett verschiedene Inszenierungen – aber ein seltsam ähnliches inhaltliches Grundsetting: Nach einem jeweils nicht (weiter) thematisierten apokalyptischen Zwischenfall treffen die Zuschauer auf eine Gemeinschaft von jungen Überlebenden, die sich auf unterschiedliche Weise als solche organisieren – in einer verdichteten Situation absoluter Gegenwärtigkeit, zwischen gescheiterter Vergangenheit und den Gefahren der Zukunft.
Bühnenstücke mit Kindern, die einem erwachsenen Theaterpublikum gegenüberstehen, haben momentan Konjunktur. Fünf solcher Arbeiten, die international Aufsehen erregten, entstanden bei CAMPO im belgischen Gent.2 Allen CAMPO-Werken dieser Reihe ist gemeinsam, dass sie von international renommierten Künstlern aus dem Performance-Bereich entwickelt wurden, die üblicherweise nicht mit Kindern arbeiten, und dass die Werke explizit für ein erwachsenes Publikum bestimmt sind. Anders als gewöhnlich in der Theaterarbeit mit Kindern geht es hier nicht primär um die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Beteiligten, nicht um den sozialen Faktor, nicht um kulturelle Bildung. Es geht in erster Linie um die künstlerische Qualität der Arbeit – die Kinder auf der Bühne sind performativer Trumpf. Was hat es auf sich mit der kindlichen Präsenz?
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Performancetheater im altersgemischten Kollektiv
Das altersgemischte Ensemble SKART/Masters of the Universe mit Mitgliedern zwischen neun und 33 Jahren arbeitet in leicht veränderter Konstellation seit drei Jahren als Kollektiv zusammen. Mit „Exodus“ zeigt die Gruppe den Abschluss einer Trilogie. Gegründet mit dem Vorsatz „anspruchsvolle Performancekunst für ein generationenübergreifendes Publikum“ zu machen, stehen hier mehrere Ziele im Vordergrund: Performancetheater, das dem professionellen Anspruch erwachsener Zuschauer gerecht wird, das sich aber auch an junges Publikum richtet, sowie ein alternatives Modell (kultureller) Bildung, das sich an dem Prinzip freier Schulen orientiert. Die meisten der beteiligten Kinder besuchen die basisdemokratisch organisierte Neue Schule in Hamburg und sind selbstorganisiertes Arbeiten gewohnt, die Theaterarbeit mit Philipp Karau und Mark Schröppel alias SKART ist Teil des Unterrichts. Die Struktur der Schule erlaubt es, mit den Kindern acht Wochen lang täglich von 10 bis 16 Uhr zu proben – die Performances entstehen also unter professionellen Bedingungen. Über die drei Jahre der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Gastspielen, Publikumsgesprächen und Presseauftritten hat sich eine Teamstruktur mit Aufgabenverteilung ergeben, eine Routine in der Stückentwicklung sowie eine bemerkenswerte eigene Ästhetik. Bei der Zusammenarbeit geht es darum, einerseits den Erfahrungsvorsprung und das Wissen der erwachsenen Künstler zu nutzen, andererseits die Ideen und die performative Kraft der Kinder fruchtbar zu machen; jeder ist auf seine Weise Experte. Die erwachsenen Künstler haben ein Veto-Recht und fungieren als Moderatoren und Leiter des Prozesses, die künstlerische Handschrift von SKART hat den Stil der altersgemischten Gruppe sichtbar geprägt. Dennoch sind alle gleichberechtigter Teil der Gruppe, jede Entscheidung ist für jeden nachvollziehbar, die Wünsche und Einwände jedes Einzelnen werden ernst genommen. Jeder Beteiligte steht vollständig hinter jeder Szene, die auf der Bühne zu sehen ist – das macht sich auch in den Publikumsgesprächen bemerkbar, bei denen selbstverständlich alle mitreden.
„Exodus“ ist ein finsteres Stück. Nachdem es in den vorigen Performances um Glücksversprechen einer materiellen Welt gegangen war und um die Qual des Überflusses, so ist man jetzt am Point of No Return: Die Welt des Zuviel ist implodiert, die letzten Überlebenden bewegen sich in einer Art Vakuum, distanzieren sich vom Publikum und beschäftigen sich mit Gedanken an Tod und Depression. Zu düster und traurig für Kinder zwischen neun und zwölf Jahren, finden einige Erwachsene im Publikum, die oftmals nicht wahrhaben möchten, dass die Texte von den Kindern gemeinsam assoziativ entwickelt wurden. Die typischen Debatten, die die Arbeit des Masters of the Universe-Kollektivs von Zuschauerseite begleiten, handeln von verklärten Bildern, die die Erwachsenen von Kindheit im Kopf haben (möchten), von Unterstellungen und Bevormundungen. Auf der Künstlerseite wird immer wieder an einem Kultur - system gearbeitet, das nicht nach einem hegemonialen Prinzip einen Kanon oktroyiert, sondern das in einem Prozess, der alle Akteure gleichberechtigt beteiligt, immer wieder neu geformt und verhandelt wird – ein Vorgang, der im Kleinen auch Utopie ist für die Entwicklung einer Transkultur für die heterogene Gesellschaft der Zukunft.
Die inhaltliche Setzung beider Produktionen, eine Gruppe von Kindern als Akteure einer zukünftigen Gemeinschaft auftreten zu lassen, scheint symptomatisch zu sein für eine Gegenwart, in der die Erwachsenen sich ratlos vor den gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen, orientierungslos vor den Trümmern einer Gemeinschaft, die nur noch Illusion scheint. Es bleibt, der jungen Generation – den Kindern, die in diese Gesellschaft hineinwachsen – das Projekt Menschheit zu überantworten und selbst zurückzutreten. Beide Künstlergruppen arbeiten auch über die inhaltliche Setzung hinaus an der Aufhebung bzw. Umkehrung der Hierarchien zwischen Jung und Alt, sei es formal in der Inszenierung des Aufeinandertreffens von erwachsenem Publikums mit den jungen Performern bei Barbara Schmidt-Rohrs „Eyes wide open“ oder strukturell in der kollektiven Arbeitsweise der Masters of the Universe. Es gibt – so heißt es bei Walter Benjamin – „keinen möglichen Standort für überlegenes Publikum“3. Jeweils auf eigene Weise entsteht hier der Raum für etwas, das man mit Benjamin „das geheime Signal des Kommenden, das aus der kindlichen Geste spricht“4 nennen könnte: revolutionäres Potential.
Lest dem Schlaraffenland die Leviten
Lest dem Schlaraffenland die Leviten
Mit Kindern neues Theater schaffen: SKART zeigt „Exodus“ am Mousonturm
„Wir verlassen die Erde als enttäuschte Herde.“ Ganz so enttäuscht sehen sie nicht aus, während der gleichnamige Song der Goldenen Zitronen wieder und wieder läuft Eher wie ein fröhlich winkender Karnevalsverein der seinen Wagen Richtung Ausgang lenkt, vier kürzere und zwei längere Passagiere an Bord. Der Wagen ein Schiff und an Bord die Kinder, die uns eine Stunde lang die Leviten gelesen haben: So endet „Exodus“ der - vorerst - letzte Teil eines Projekts mit dem die in Gießen ausgebildeten Performancekünstler Philipp Karau und Mark Schröppel alias SKART sich viel vorgenommen haben.
Mit „Masters of the Universe“ hat das Künstlerduo seit 2014 an einer neuen Form des Theaters mit Kindern gearbeitet. Ein neues Theater, für das die Erwachsenen gemeinsam mit den Kindern Ideen entwickeln, Text, Regie, Bilder und schließlich die Aufführung schaffen - gerichtet an ein Publikum, das in ein ganz normales Theater geht, egal welches Alter es hat. Mit „All in“ hat der Frankfurter Mousonturm begonnen, gezielt für alle Zuschauer offene Kunst zu zeigen, auch die „Masters of the Universe“ waren schon da mit dem ersten Stück der Trilogie „Lucky Strike“.
Schon damals ging es um Konsumkritik und die Frage danach, wie wir leben wollen, in assoziativen, oft schrägen, anarchistischen Szenen. Mit „Exodus“ entwerfen SKART und Kinder der Neuen Schule Hamburg sowie der Freien Schule Frankfurt durchaus Bilder einer Apokalypse: Doch die Filmmontagen aus realen Naturkatastrophen im Nachrichtenformat mit einem ausphantasierten Weltuntergangsszenario, einer Teerflut an den Küsten von Schlaraffenland, der Invasion bunter Monster und vor allem einer entfesselten „Barbie-Bande“ junger Mädchen in rosa Tüll, die smarte Unternehmer in Schlaraffenland prügeln, geraten zum „Apocalypso“, die Verhältnisse tanzen. Die Videos wurden mit den Frankfurter Kindern Mara Bieberich, Zora Christ, Linus Engelhardt, Sophie Nicole Gorbunova, Liv Jünemann und Naomi Schwarz gedreht, auf der Bühne spielen in bunten Konsumtrashkostümen die Hamburger Kinder Charlotte Heidenreich, Annika Prevrhal, Anton Prevrhal und Jasmin Taeschner ein souveränes Spektakel. Das ist inszeniert, klar - aber es wirkt sehr frei. Und die beiden Erwachsenen Akteure halten sich im Gegensatz etwa zu „Lucky Strike" völlig raus. Das macht „Exodus“ weitaus überzeugender, sowohl ästhetisch als auch inhaltlich. In dem schlichten, ausgetüftelten Sperrholz- und Leinwand-Bühnenbild entsteht ein grellbuntes, lautes, lustiges und doch sehr nachdenkliches Panoptikum, an dessen Bildern und Bonmots man Freude hat - und dessen fantasievolle, tatsächlich aus einer jungen Perspektive formulierte Kritik durchaus sitzt. Kein Wunder, dass das Schild mit der Aufschrift „Erlöst uns!“ schließlich ins Publikum wandert. Es ist ja schließlich ein gemeinsames Theater, das diese „Masters of the Universe“ wollen.
Das Theater der unfertigen Formen
„Exodus“ heißt das Finale der Trilogie um Überfluss, die das Performance-Duo SKART auf Kampnagel Hamburg gemeinsam mit Kindern entwickelt hat. Die erzählt auch vom Untergang und Neuanfang des Theaters.
Was ist das, was sie da hochhalten? Schief geratene Schilder, auf denen aber gar nichts steht?Symbole oder nur geometrische Formen, die sonst nichts bedeuten? Ist das eine Prozession eines Kultes, eine politische Demonstration oder ein Trauerzug? Immer im Kreis herum tanzt eine Handvoll Kinder in Kostümen irgendwo zwischen verlotterter Ballerina und Schlafanzug-Party hintereinander her. Auf dem Boden liegen diese Formen herum, lauter versprengte Versatzstücke, aber von was bloß?
Gruslige Glückseligkeit
Auf der Leinwand im Hintergrund der Bühne gibt's dazu rasant zusammengeschnittene Szenen mit lauter Musik und Gejohle, in denen konsumgeile Massen in Ekstase Flachbildschirme aus den Tempeln der Unterhaltungselektronik schleppen, Tabletkäufer im Apple Store durchs Spalier aus frenetisch jubelnden Verkäufern hüpfen oder völlig gaga-glückliche Passanten irgendwelche albernen Werbefigürchen ganz, ganz fest in den Arm nehmen. Ganz schön gruselig, diese Collage der verrücktesten Formen der Glückseligkeit in der Überflussgesellschaft. Und zwischendurch immer wieder diese Schlange, die versucht sich selbst zu fressen.
Ein bedrohlich wirkender Auftakt für diesen „Exodus“ mit dem nach „Lucky Strike" und „Schlaraffenland“ die Performance-Triologie über Besitzansprüche, Konsumdenken und Materialismus ihren Abschluss findet. Entwickelt hat sie das aus den Theaterwissenschaften Mark Schröppel und Philipp Karau bestehende Duo SKART gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen aus Nenas Neuer Schule Hamburg, der Erich Kästner Schule in Hamburg-Farmsen und der Freien Schule Frankfurt in den vergangenen zwei Jahren auf Kampnagel in Hamburg.
Kaputtes Schlaraffenland
Dann wird es ganz still auf der Bühne. Langsam robbt ein merkwürdiges Gebilde auf die Bühne, das sich erst im Licht als aufblasbare Rettungsinsel entpuppt. Ein kleines blondes Mädchen steckt seinen Kopf heraus und beginnt eine eindringliche Ansprache: All die Teile, die hier herumliegen, das waren einmal unsere Häuser gewesen. Jetzt ist alles kaputt. Selbst schuld! Immer mehr wollten wir doch immer von allem haben - nun ist nichts mehr da, sind auch wir nichts mehr, erzählt uns dieses kleine „Wesen der Zukunft“ All der Überfluss: Nur noch ein riesiger Müllhaufen aus der Form geratener Einzelteile ist davon übrig.
Kurze, professionell produzierte Breaking-News-Video-Schnipsel erzählen dann immer wieder vom Aufstand im Schlaraffenland. Da macht eine dionysisch feiernde Barbie-Bande ausgelassen kichernd Jagd auf Yuppies. Ein irgendwie verdellt wirkender Sesamstraßen-Ernie zieht seinen SUV mühevoll selbst doch die Straßen, weil kein Benzin mehr da ist. In einem wirklich romantischen Filmchen finden ein Müll-Godzilla-Monster, das die Welt mit seinem Feuerarten in Brand steckt, und eine kleine Mülltonne schließlich zusammen
Collage unfertiger Formeln
Auf der Bühne werden derweil die herumliegenden Formen neu zusammengesetzt, wieder auseinandergenommen, verschoben und wieder zusammengesetzt. Ganz sorgfältig wird jede Verbindung immer wieder überprüft. Bald wird daraus ein kleines Haus, dann wieder eine Mauer, schließlich ein Schiff auf dem alle am Ende Richtung Zukunft segeln.
Ein Spielplatz für lauter kleine choreografische Bilder und Texte, die in ganz einfacher Sprache, aber beeindruckend verdichtet vom ewigen Nichtstun beim Couchsurfen und Youtube-Clips-Gucken erzählen oder vom Verwählen in der Death-Box-Telefonzelle, in der man sich die schönste Selbstmordvariante aussuchen kann.
Das ist alles abwechselnd erschütternd und voller Furor, dann wieder nachdenklich und ganz reduziert und nicht zuletzt auch niedlich anzusehen, wenn die Kleinsten mit einer Bühnenpräsenz und Textsicherheit, von der Erwachsene sich eine gute Scheibe abschneiden können, als Zigarettenschachtel auf Mülltonnen balancieren oder mit Laserpointern verlängerten Fingern vorsichtig den Theaterraum abtasten.
Keine abgeschlossene Geschichte erzählt der Abend, sondern stellt ein opulentes offenes Theater der unfertigen Formen aus, das ebenso viel von der Leere der Konsumgesellschaft erzählt wie vom Ende und Neuanfang des Theaters.
Neue Theater Generation
Denn Ziel des Projektes ist es, ein Theater der neuen Generation und eine neue Generation von Theater zugleich zu erproben: radikal basisdemokratisch, anarchisch postdramatisch und leidenschaftlich antipädagogisch. Kinder und Skart-Performer sind alles zugleich: Ideengeber und Regisseure, Darsteller und Autoren, Bühnen und Kostümbildner. Ein emanzipiertes gemeinsames gemeinsames Lernen statt machtbasierter verdummender Pädagogik.
Heraus kommt tatsächlich weder ein Theater nur für Kinder und Jugendliche noch eine eitle Veranstaltung für Theaterwissenschaftler, sondern eine soziale Plastik, die man als eigenständigen Beitrag zur kulturellen Bildung unbedingt ernst nehmen darf.
Dieses Finale der Trilogie wirkt reduzierter als der noch etwas herumtastende erste Teil und der zweite mit seiner an Verweisen und Bildern überreichen Üppigkeit. Und dass es, dem nicht immer flott vorangehenden Bühnenbildbasteln geschuldet, ein paar Längen gab, das mag man gern verzeihen. Beim groß angelegten Theaterumbau muss es ja erlaubt sein, dass man sich dafür Zeit nimmt.
Kritik bei NDR Kultur
Glücklicher Faschist
Einmal im Leben nicht der Loser sein: Wer immer schon mal Sand ins Gesicht des Schulhofschlägers werfen und damit das Herz einer eingeölten Schönheit erobern wollte, für den war der Barbar Conan in den 1980ern das willkommene Role Model: ein von harter Arbeit gestählter Ex-Kindersklave, der ebenso Bekleidungs- wie Wort-arm im Alleingang Rache nimmt. Für alle anderen allerdings war John Milius' Low-Fantasy-Streifen mit dem eindrucksvoll ausdruckslosen Arnold Schwarzenegger in seiner ersten Filmrolle nur menschenverachtender faschistoider Stumpfsinn: ein Celluloid gewordener feuchter Traum für totalitäre Gewaltfreaks.
Für Mark Schröppel und Philipp Karau aber steckt in dem umstrittenen Genreklassiker mehr. "Wir haben in dem Film ein Paradebeispiel für den zeitgenössischen westlichen Menschen entdeckt", erzählen die zwei Theaterwissenschaftsabsolventen der Uni Gießen, die sich vor acht Jahren im Performance-Duo "Skart" - kurz für: "Schröppel Karau Art Repetition Technologies" - zusammengetan haben, um popkulturell geprägtes Collagentheater mit politischem Anspruch zu machen. Für sie ist der muskelbepackte Rächer eine gleichnishafte Ikone: ein isoliertes und verunsichertes Individuum, ein ruheloser Entwurzelter, hin- und hergeworfen zwischen Größenwahn und Überforderung, Hoffnung und Versagen, Zwang und Eskapismus.
Bereits im vorigen Jahr haben Schröppel und Karau den ersten Teil ihrer Geschichte des stumpfsinnigen Sinnsuchers in der Performance "Conan der Barbar" erzählt. Als multimediale Anarcho-Materialschlacht mit irrwitzigen Bühnenbildern, handgemachten Videos, totalitären Elektrosongs und jeder Menge zwanglosem Sendungsbewusstsein.
"Wir haben Milius' Film als Blaupause benutzt, um eine Zeitgeistfarce zu erzählen, in der jeder von uns ein trashiges Abziehbild Conans sein kann", erzählt Schröppel. Aus dem Ein-Mann-Rachefeldzug des Barbaren wird bei "Skart" so eine groß angelegte Auseinandersetzung mit Desorientierung und Aufbegehren im Kapitalismus.
"Unser Conan hangelt sich durch verschiedene Lebensstationen, die immer an Sinnkrisen gekoppelt sind", erklärt Karau. Da geht es inmitten surrealer Vogelwesen, im SM-Vakuumbett oder auf einem Turm aus Coca-Cola-Kisten ums Verlieben und die Sexualität, um den Materialismus oder die Spiritualität. Aber immer wieder scheitert die barbarische Suche nach einer sinnstiftenden Existenz: glücklich wird dieser Conan im zeitgenössischen Kapitalismus nicht.
Im zweiten Teil, "Conan der Zerstörer", haben Schröppel und Karau ihren Anti-Helden deshalb mit der Ideologie flirten lassen. In einer kruden Mischung aus Lesung, Vortrag und Late-Night-Talkshow wird dem Einzelkämpfer nun ein schmerz- und widerspruchsfreies Leben ohne Angst und Sinnentzug versprochen: als Faschist. Für Schröppel und Karau eine Möglichkeit, neokonservative Tendenzen nebst Biedermeier-Relaunch und Einfamilienhaus-Eskapismen zu hinterfragen, indem die dahinter liegenden Wertevorstellungen ins Absurde getrieben werden.
Mit "Conan Baby" bringen "Skart" nun auf Kampnagel eine Fusion der vorangegangenen Teile als zweieinhalbstündige Tour de Force in drei Teilen auf die Bühne: vom Biografie-Teil mit mitten in der Bühne sitzendem Publikum geht es in einen White Cube zur Indoktrination durch einen Sektenguru und schließlich in eine Late-Night-Show, in der in übergriffiger Interaktion mit dem Publikum Körperkult, Design und Vorteile totalitärer Regime untersucht werden.
Es ist eine eigentümliche Mischung aus Irritation, Humor und Sendungsbewusstsein, die das Duo dabei antreibt. "Wir zielen nicht auf einen eindeutigen Erkenntnisgewinn", sagt Karau. "Wir bieten stattdessen eine Collage an, die sich an verschiedenen Themenkomplexen abarbeitet." Nicht belehrt soll das Publikum am Ende aus dem Theater kommen, sondern Anreize mitnehmen, sich auf ganz persönliche Weise mit der Thematik auseinanderzusetzen. "Unsere Stücke sind oft intensiv und auch überfordernd", sagt Schröppel. "Wir versuchen, die Leute, aber auch uns selbst bei den Konventionen zu packen - indem wir uns mit offenem Visier brachial die Breitseite geben."