Kampfansage an den Mann
Provokant, drastisch, abstoßend: Performance in taT-Studiobühne widmet sich Valerie Solanas’ berüchtigtem „Scum-Manifest“
An Valerie Solanas’ „Scum-Manifest“ scheiden sich die Geister. Die einen bescheinigten der US-Amerikanerin, mit ihrem literarischen Wutausbruch gegen die Spezies Mann eine brillante Parodie verfasst zu haben. Die anderen begriffen das Werk als Kampfschrift einer ebenso fanatisierten wie verwirrten Feministin. Nun nimmt das in Gießen gegründete Theaterkollektiv „Skart“ diesen Text aus dem Jahr 1967 zum Anlass für eine drastische Performance – an der sich ebenfalls die Geister scheiden dürften. Am Donnerstagabend feierte „Happiness is a warm Gun“ Premiere auf der taT-Studiobühne.
Warnung am Eingang
Was das Publikum darin erwartet, lässt sich schon anhand der Handzettel erahnen, die vor Beginn am Eingang verteilt werden und vor grell blitzendem Stroboskoplicht sowie „gegebenenfalls verstörendem Video-Material“ warnen. Drinnen geht es dann zunächst eher harmlos zu, wenn die beiden in weiblicher Abendgarderobe und riesigen Katzenmasken steckenden Darsteller Paula Schrötter und Pascal Thomas beginnen, den Bühnenboden mit Dutzenden Frauenzeitschriften zu bedecken.
Doch diese von viel Musik untermalte Performance funktioniert wie eine Fahrt in der Achterbahn: Erst werden die Zuschauer langsam auf den Scheitelpunkt gezogen – um dann brachial in die Tiefe gestoßen zu werden. Schwindelgefühle sind dabei bewusst einkalkuliert. Hier funktioniert es zunächst über einige von Tonband laufende Texteinspielungen, die sich mit der Rolle der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft befassen: höflich, bescheiden und unterwürfig hat sie demnach zu sein. Bebildert wird das von den beiden sanft schnurrenden Miezekatzen auf hochhackigen Schuhen.
Doch dann fallen irgendwann die Masken und in einer ersten drastischen Szene wickelt der Mann die Frau mit Frischhaltefolie auf einen Holzbalken, um sie anschließend genüsslich auf einem Spieß zu drehen. Um genau solche lustvoll Gewalt ausübenden Exemplare des „starken Geschlechts“ ging es Valerie Solanas (1936 –1988), die heute vor allem für ihr Attentat auf Pop-Art-Genie Andy Warhol bekannt ist, von dem sie sich verraten fühlte, und den sie im Jahr 1968 mit einem Pistolenschuss schwer verletzte. Textzeilen ihres wie ein ausgestreckter Mittelfinger wirkenden Manifests (Scum – Abschaum) werden dem Publikum im taT entgegengeschleudert. Der Mann muss kompensieren, dass er keine Frau ist. Der Mann ist eine biologische Katastrophe. Der Mann muss ausgerottet werden.
Doch bei solch unzweideutigen Sätzen allein belassen es die beiden jungen „Skart“-Autoren Philipp Karau und Mark Schröppel in ihrer Inszenierung nicht. Sie zeigen auch Videobilder, die selbst hartgesottene Zuschauer schlucken lassen. Zunächst sind es abstoßende pornografische Szenen, zahlreiche gelbstichige Bildschnipsel, die einen ausschließlich männlichen Blick transportieren, der Sex offenbar vor allem als Form körperlicher Machtausübung versteht. Als Antwort darauf ist anschließend ein Experimentalfilm aus dem Jahr 1992 zu sehen, in dem sich eine vergnügte junge US-Amerikanerin von zwei weiteren Frauen die Scheide zunähen lässt – detailliert und minutenlang. Das ist alles nur schwer erträglich, auch wenn im anfangs ausgeteilten Handzettel vorweggenommen wird, dass es sich dabei „nicht um eine Provokation, sondern um eine inhaltliche Aussage über den gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität und Körpernormen“ handele.
Diese auf eine extreme Schockwirkung zielende – und tatsächlich viel zu lange – visuelle Darstellung des Geschlechterkampfes ist das eine, was dieses Stück diskutabel werden lässt. Das andere ist der Verzicht auf jegliche Zwischentöne. Kein Satz endet ohne Ausrufezeichen, keine Botschaft bietet Platz für Diskussionen oder gar eine Gegenthese. Hier ist stattdessen ein extremer Standpunkt zu besichtigen, nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Wer sich ihm aussetzen mag, bekommt das körperlich enorm fordernde Spiel der beiden Stadttheater-Schauspieler Paula Schrötter und Pascal Thomas zu sehen, die sich den schweißtreibenden dramaturgischen Herausforderungen mit viel Spielfreunde annehmen. Und davon gibt es einige: Gewichte stemmen, akrobatisches Balancieren und groteske Latexkostüme etwa, in denen sie lautstark Solanas’ Scum-Parolen formulieren. Aber dem Duo werden auch einige leise Momente gewährt. Und wenn sie am Ende Anzeigen aus den zu Beginn ausgelegten Hochglanzmagazinen mit sexualisierten Frauenkörpern durch den Reißwolf laufen lassen, dann ist das nicht nur ein Verweis auf heutige Geschlechterrollen – man ist auch ganz auf ihrer Seite.
Der Mann als Gendefekt
Verstörendes Video-Material, Pornofilme, Fetischkostüme, radikalfeministische Parolen - »Happiness is a warm gun« ist in der taT-Studiobühne nichts für zarte Gemüter. Aber kein Wunder: Die Vorlage der SKART-Uraufführung ist Valerie Solanas legendäres »SCUM«-Manifesto.
Eines vorweg: Wer nicht zusehen will, wenn einer Frau die Vagina zugenäht wird, oder sich bei Videoeinspielungen aus Schmuddel-Pornos unwohl fühlt, der sollte »Happiness is a warm gun« in der taT-Studiobühne besser nicht anschauen. Denn die einst am Theaterwissenschaftlichen Institut der JLU gegründete Performancegruppe SKART setzt dort den radikalfeministischen Wutausbruch »SCUM«-Manifesto von Valerie Solanas mit drastischen Bildern in Szene.
Solanas ist als die Frau, die 1968 auf Andy Warhol schoss, bekannt geworden: Ihr von Männerhass und schwarzhumoriger Polemik, aber auch messerscharfer Analyse patriarchaler Strukturen strotzender Text ist Pflichtlektüre der Feministinnen. Während Warhol durch das Attentat endgültig zur Berühmtheit wurde, landete Solanas im gesellschaftlichen Abseits, in der Psychiatrie und der Obdachlosigkeit.
»SCUM«-Manifesto liefert schon allein vor diesem Hintergrund ordentlich Sprengstoff in der Arena des Geschlechterkampfes. SKART, das im Kern aus den beiden Männern Mark Schröppel und Philipp Karau besteht (auch das nicht ohne Brisanz für die Inszenierung), konfrontiert Textpassagen aus »SCUM« mit einer Bilderwelt voller Symbolik, die allerdings den Vorwurf von Effekthascherei nicht ganz von der Hand weisen kann. Der Grausamkeit der Frauenrealität und der Radikalität der Solanas-Thesen setzt SKART mit dieser herausfordernden Provokation noch einen drauf. Doch dabei geraten die durchaus berechtigt zu stellenden Fragen ein wenig ins Hintertreffen: Bestehen die alten Machtstrukturen auch heute noch? Wie zeitlos ist Solanas Polemik? Gibt es überhaupt einen Ausweg aus der Misere? Diese Überlegungen stehen im Raum, eine Antwort bleibt aus.
Paula Schrötter und Pascal Thomas, anfangs mit riesigen Katzenköpfen und auf einem Meer von im Grunde frauenverachtenden Modemagazinen stehend, imitieren die künstlich unterfordert gehaltenen Hausfrauchen amerikanischer Vorstädte in den Sechzigern. Kinder, Küche, Kirche bestimmen ihren Alltag - und sie machen das Spiel mit. Auch sie trifft Solanas Zorn, denn sie argumentiert nicht nur gegen Männer als angeblichen »Gendefekt« und biologische Katastrophe, sondern auch gegen jene Weibchen, die dieses patriarchale System unterstützen. Kein Wunder, dass »Daddy’s Tochter« eines Tages in Frischhaltefolie gewickelt wie ein Spanferkel über dem Lagerfeuer brutzelt.
Aber auch die sexuelle Befreiung, so Solanas These, hat durch die Sexualisierung der Gesellschaft Frauen nur in neue Machtstrukturen verstrickt. SKART zeigen das mit auf eine weiße Hüpfburg projizierten Porno- sequenzen, in denen die Frau als Objekt männlicher Triebhaftigkeit herhalten muss. Quälend lange Minuten lang läuft zudem eine Videoeinspielung aus dem Experimentalfilm »The sewing circle« von 1992, in der das Publikum, teils in Großaufnahme, zusieht, wie sich eine Frau ihre Vagina zunähen lässt. Eine Art der radikalen Verweigerung, aber auch ein Akt der Selbstverstümmelung, der sprachlos macht, wie der wortlose Auftritt der Frauen des Chors Avanti Dilettanti im Anschluss nahelegt.
Und dann steigert sich die Uraufführung in ein furioses Finale. Schrötter und Thomas tragen Fetischganzkörperkostüme aus rotem und schwarzem Lack, schreien vom Dach der Hüpfburg - leider im Tumult nur schwer verständliche - »SCUM«-Parolen: Der Mann sei ein »Gendefekt« und wisse, dass er im Grunde ein »wertloser Misthaufen« sei. Männer müssten mit Vergasen vernichtet werden und Frauen endlich an die Macht kommen. Alles ist im Ansatz zwar nachvollziehbar, aber in der von Solanas propagierten Extrem-Konsequenz nahezu unerträglich, so wie auch die Autorin mit ihren Schüssen auf Warhol definitiv zu weit gegangen ist. Frauen sind eben ganz gewiss nicht die besseren Menschen. Männer aber auch nicht.
»Happiness is a warm gun« ist der Theaterabend in Anspielung auf einen Beatles-Song aus dem Jahr 1968, aber auch auf Solanas Warhol-Attentat im gleichen Jahr, betitelt. Und so wie eine »warm gun« garantiert nicht der Schlüssel für eine bessere Welt sein kann, so ist auch Solanas Abschaum, das ist nämlich die Übersetzung für »SCUM« (alternativ: Akronym für »Society for Cutting Up Men«, zu deutsch Gesellschaft zur Zerstückelung von Männern), kein Allheilmittel.
Das Publikum - eine ungewöhnliche Mischung aus Zeitzeugen der 68er-Revolte und jungen Theaterwissenschaftlern - ist nach 75 durchaus verstörenden Minuten offensichtlich begeistert und irritiert zugleich. Für SKART gibt es viel Applaus und noch mehr für die beiden Schauspielenden, die den Parforceritt mit Würde gemeistert haben.
Feministischer Cyborg
Es hätte keines Beweises bedurft, dass E.T.A Hoffmanns erstmals 1819 erschienene Erzählung „Der Sandmann“ weit mehr ist als gut abgehangener Prüfungsstoff für Abiturienten. Doch die Musik-Video-Schauspiel-Performance, die nun vom Duo SKART (Philipp Karau und Mark Schröppel) in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt uraufgeführt wurde, ist so atemberaubend gegenwärtig dass man sich in manchen schmerzhaften Momenten nach einer der vielen braven Schüleraufführungen sehnt. SKART bringen den Zuschauer dabei immer wieder an Grenzen, durchweg schön anzusehen und anzuhören sind die 70 Minuten nicht.
Anfangs konnte man noch meinen Anja Gläser, Karin Klein und Johanna Serenety Miller sprechen in chronologischer Ordnung den Originaltext. Da berichtet zunächst der Student Nathanael seiner Verlobten Clara in einem Brief von schaurigen Kindheitserlebnissen in mit dem vorgeblichen Sandmann, da antwortet die Rationalistin mit guten Ratschlägen und Liebesbekundungen. Im Hintergrund freilich tut sich da schon höchst Befremdliches. Eine in ein aufgeblasenes Gummikostüm gezwängte Figur tanz und kullert über die Bühne, mit einem Laubbläser werden Plastikplanen weggeblasen und enthüllen halb naturwissenschaftliche, halb aus einem Horrorkabinett stammende Bilder von Köpfen und einer Schulbuchdarstellung eines schwangeren Unterleibs. Ausgestopfte Tiere erinnern an ein Naturalienkabinett, aber was hat darin eine Madonnenfigur zu suchen?
Ein lebensgroßes Pferd wird hereingeschoben, darauf sitzt eine Frau und seufzt immerfort zum brüllenden Forte der elektronischen Musik den einzigen ihr möglichen Laut „Ach“. Natürlich ist es die Puppe Olimpia, von deren Lebendigkeit einzig Nathanael, in seiner Wahrnehmung spätestens durch den Kauf eines Seerohrs beim dubiosen Wetterglashändler Coppola der Wirklichkeit entrückt, felsenfest überzeugt ist. Als er mit ansehen muss wie Coppola und der nicht minder zwielichtige Professors Spalanzani die Puppe im Streit um die Urheberschaft zerreißen, verfällt er vollends den Wahnsinn und muss ins Irrenhaus. Dies alles wird vorgelesen, an keiner Stelle wird hier am naturalistischen Sinn ein Schauspiel mit Figuren und Dialogen geboten. Der Text wird zerhackt, nach Belieben wiederholt, ab und zu auch mit direkter Ansprache des Publikums in Gegenwartssprache übersetzt.
Doch zum Kern kommt diese von Videoeinspielungen, einem filigranen Glockenspiel-Musikautomaten und immer neuen Geräuschattacken begleitete und unterbrochene Inszenierung erst, nachdem Nathanael sich zu Tode gestürzt hat. Bei Hoffmann gehören dann die letzten Sätze der Erzählung, nicht ohne Ironie dem künftigen Eheglück der herzensguten Clara. Bei SKART aber betreten nun Wesen mit Neonmasken und gigantischen Gummiköpfen die Bühne, als hätte sie ein Science-Fiction-Film ausgespuckt. Sie fordern einen radikalen Perspektivwechsel und preisen das Mensch-Maschine-Mischwesen Olympia als eigentliche Heldin des Stücks, als feministischen Cyborg, der die von Männern bestimmten Gender Zuschreibungen überwindet und neue Spielarten des Eros, des Umgangs mit Geschlecht insgesamt propagiert.
Dieser Pamphlet-Schluss wirkt leider trotz aller Bild- und Klangwucht ein wenig aufgesetzt. Die Stilisierung der Puppe Olympia, die auf sehr genau analysierte Weise ja für den krankfhaften Narzissten Nathanael eine Idealfrau darstellt, als Weiblichkeitmetapher, wurde vorher an keiner Stelle vorbereitet und geriet auch sprachlich - gerade im Vergleich zur Prosa Hoffmanns - ein wenig platt. Dennoch bietet der Abend, bei dem auch die drei Darstellerinnen bis an die Grenze ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit gefordert werden, einen ungemein spannenden, in Zeiten von künstlicher Intelligenz und um sich greifende Automatisierung brennend aktuellen Interpretationsansatz.
Frühkritik von HR 22
Ein Gespräch mit SKART / MASTERS OF THE UNIVERSE
Gespräch mit
SKART / MASTERS OF THE UNIVERSE
Das altersgemischte Kollektiv SKART / Masters of the Universe hat bisher drei gemeinsame Stücke auf Kampnagel entwickelt – LUCKY STRIKE (2014), SCHLARAFFENLAND (2015) und EXODUS (2016) – eine Trilogie über Glücksversprechen, Überfluss und Leere. Die neue Arbeit TUNIX! hat am 1. November Premiere (siehe S. 12). Anna Teuwen, Dramaturgin auf Kampnagel, kennt die Gruppe seit ihrer Gründung und spricht mit Philipp (34), Mark (34), Charlotte (14), An- ton (13) und Annika (11) nach der ersten Probenwoche über ihre gemeinsame Arbeit, über Arbeit generell, über Flow und Faulsein.
Ihr seid jetzt seit 4 Jahren die Gruppe Masters of the Universe – was überzeugt Euch an der Zusammenarbeit?
Charlotte: Wir sind eine altersgemischte Theatergruppe. Wir machen kein Kindertheater, keine Erwachsenenunterhaltung, sondern Glückstheater für alle – wie es so schön auf unseren Flyern steht. Anton: Eine Sache, die bei uns besonders ist, ist, dass wir keine Stücke nachspielen, sondern uns etwas ganz Neues ausdenken. Und nicht Philipp und Mark denken sich das aus und wir müssen das dann machen, sondern wir denken uns alles zusammen aus.
Mark: Charlotte, Anton und Annika sind auf der Neuen Schule in Hamburg, einer Reformschule, in der es möglich ist, dass die Kinder acht Wochen am Probenprozess teilnehmen und jeden Tag auf Kampnagel sind. Das sind professionelle Bedingungen.
Könnt Ihr kurz erzählen, was das Besondere an der Neuen Schule ist?
Annika: Die Neue Schule ist eine demokratische Schule. Wir sind zu fast nichts verpflichtet – nur dazu, uns an Regeln zu halten. Aber die Regeln bestimmen wir selbst. Wir stimmen über jeden ab, der an unserer Schule etwas machen will. Dabei ist uns wichtig, dass der oder diejenige verstanden hat, wie unsere Schule funktioniert. Und natürlich, dass wir das Projekt interessant finden. Philipp: Die Neue Schule ist eine sehr progressive Schule, in der es viel um Eigenverantwortung geht und darum, zu reflektieren. Für uns wart ihr Expert*innen, die sich mit dem auskennen, was wir vorhatten. Am Anfang war noch alles offen, wir haben viel Neues ausprobiert. Mittlerweile hat sich viel schon gefestigt, wir haben bewährte Abläufe, einen gemeinsamen Flow.
Flow klingt gut – könnt ihr mal Euren Flow beschreiben?
Mark: Flow ist, wenn es läuft wie beim Staffellauf, man gibt immer wieder den Stab weiter, und dann katapultiert man sich gegenseitig in die Höhe, es sprüht und schlägt Funken.
Anton: Wir haben einen Flow, wenn wir Texte entwickeln, viel reden und es gut vorangeht.
Charlotte: Jeder wirft was rein, ein paar Fetzen werden mitgeschrieben und dann ist der Text zwar noch nicht ganz fertig, aber meistens schon ganz gut. Ich finde, das sind immer die besten Texte, die so im Flow entstehen.
Was ist die Vorbereitung für die Textarbeit? Wie fangt Ihr an?
Annika: Wir haben uns viele O-Töne angehört und Aus- schnitte von Filmen angesehen. Dann sammeln wir, was uns dazu einfällt und spinnen das weiter. Mark und Philipp bringen meistens Dokumentarfilme mit, weil sie sich dafür interessieren. Charlotte interessiert sich eher für Musikvideos, und wenn sie in der Probenzeit etwas sieht, was zum Stück passt, bringt sie es mit und wir schauen es gemeinsam an. So ist es bei jedem von uns.
Anton: Ich habe bei allen Stücken bisher die Musik gemacht. Das macht mir Spaß. Diesmal bauen wir eine Musik-Maschine, mit der ich komponiere.
Nervt Euch manchmal etwas an der Zusammenarbeit zwischen den Generationen?
Philipp: Früher haben uns Ältere oft genervt, wenn das große Ganze aus dem Fokus geraten ist, denn dann müssen wir die Orga-Typen sein, die daran erinnern, was wir vorhaben. Ich empfinde es als positiv, dass bei euch Jüngeren das Gefühl für die Stimmung, die Verantwortung immer weiter wächst.
Mark: Jetzt, wo sich der Prozess immer besser selbst organisiert, wird es immer angenehmer und schöner.
Charlotte: Für mich sind wir alle eigentlich auf einer ähnlichen Ebene. Mark und Philipp sind nicht solche Erwachsene, zu denen ich netter sein muss, als ich normalerweise wäre. Ich bin mit älteren und mit jüngeren Leuten befreundet. Wenn mich etwas nervt, dann Situationen, in denen ich zu Erwachsenen einen Unter- schied machen muss.
Mark und Philipp, wie seid Ihr eigentlich auf die Idee gekommen, mit Kindern zusammenzuarbeiten?
Philipp: Auf Kampnagel haben wir 2012 VON EINEM, DER AUSZOG, DAS FÜRCH- TEN ZU LERNEN für junges Publikum produziert. Von Anfang an war uns klar, dass wir etwas mit erzählen wollen, was auch für Ältere interessant ist. Wir wollten immer ein altersgemischtes Publikum ansprechen. Daraus ist dann die Idee entstanden, die Stücke direkt mit Jüngeren gemeinsam zu produzieren, da kann man sich dann gleichberechtigter und glaub- würdiger damit beschäftigen, was Erwachsene und Kinder jeweils interessiert – und ob es da überhaupt so große Unterschiede gibt, denn daran glauben wir ja mittlerweile gar nicht mehr. Das, was uns im sogenannten Erwachsenentheater gut gefällt, das kommt meist auch bei den Jüngeren gut an.
Meint Ihr, Kinder und Erwachsene sollten generell mehr zusammen machen?
Charlotte: Solange man sich versteht, soll doch jeder etwas zusammen machen, der will!
Mark: Letztendlich ist es doch so, dass immer gute Sachen passieren, wenn Menschen unterschiedlichster Geschlechter, Herkünfte, Stärken und Interessen angstfrei gemeinsam einen kommunikativen Raum aufmachen. Und zwischen Kindern und Erwachsenen passiert so etwas noch immer viel zu selten – in welchen Bereichen auch immer. Die Menschen unterschätzen sich gegenseitig einfach zu sehr. Philipp: In dieser Hinsicht kann man auch die Institution Schule und die Erwerbsarbeit nochmal überdenken, die ja letztlich verunmöglichen, dass der Alltag in einem in- tergenerationellen Austausch stattfinden kann – schon allein zum Leidwesen von Familien, die nur wenig Freizeit miteinander verbringen können. Wäre in der Wirtschaft noch der gleiche Produk- tivitätsdrang aufrechtzuerhalten, wenn Werte, die den Jüngeren wichtig sind, mehr in die Gesellschaft hinein wirken würden? Umgekehrt halten die Strategien des gemeinsamen Spielens und Zeitverbringens wieder Einzug in die Unternehmenskultur, weil erforscht ist, dass sie zu mehr Leistung und kreativem Output führen. Aberwitzig eigentlich.
TUNIX handelt von Faulheit, wie seit ihr darauf gekommen?
Annika: Das neue Stück hat etwas mit dem Deathbox-Text aus EXODUS, unserem letzten Stück, zu tun. Mit der Frage, was eigentlich passiert, wenn man nichts tut ... Die Bäckerinnen-Szene aus EXODUS setzen wir auch fort.
Charlotte: Wir beschäftigen uns nicht nur mit Nichtstun, sondern auch viel mit Arbeit, warum die Menschen arbeiten, was passiert, wenn man zu viel arbeitet ...
Anton: Über Nichtstun wissen wir Jüngeren viel. Mit dem Arbeiten ist es schwerer, weil wir ja noch nicht arbeiten. Philipp: Bei unseren Publikumsgesprächen ist manch- mal die Frage aufgekommen, was eigentlich Arbeit ist. Aus einer Perspektive – der der Älteren meistens – könnte man sagen: Das, was wir hier machen, ist eine Form von Arbeit für die Jüngeren. Wochenlang täglich Pro- benarbeit. Aus der jüngeren Perspektive wird eher gefragt: Was empfinde ich eigentlich als Arbeit – ist das etwas Spielerisches, das mit Begeisterung im Flow entsteht, oder ist es etwas, mit dem ich Anstrengung verbinde? Ist es eine Last oder eine Quahl?
Charlotte: Für mich ist der Unterschied, dass wir Jüngeren kein Geld dafür be- kommen. Das unterscheidet unser Projekt für mich vom Arbeiten.
Philipp: Ich hatte schon oft Gespräche über das Geld- verdienen. Wenn ich die Möglichkeit hätte, das hier zu tun, ohne Geld damit verdienen zu müssen, ich würde es sofort tun. Zeitraum und Ziel des Projekts wären dann nicht mehr an Geldwerte geknüpft. Anton, Du hast schon öfter überlegt, ob Du beim nächsten Stück wieder dabei sein, oder lieber mal eine Pause machen willst. Ich habe mich gefragt, wie es Deine Entscheidung beeinflussen würde, wenn Du Geld für Deine Beteiligung bekommen würdest. Ich denke, dass es ein Vorteil für die Jüngeren ist, dass sie von Geldfragen unbeschwert entscheiden können.
Mark: Was ich wahrnehme ist, dass wir alle bei unseren Proben versuchen, möglichst wenig Arbeit zu haben. Ich habe diese erste Probenwoche als viel weniger arbeitsintensiv wahrgenommen als früher. Es ist wirklich interessant, dass wir uns vom Arbeiten wegbewegen und stattdessen eher zu einem Gestalten kommen, das uns persönlich Spaß macht.
Bei einem Stück über Nichtstun versucht ihr also, möglichst nicht zu arbeiten?
Mark: Wir haben das wahrscheinlich immer schon versucht – es klappt einfach mittlerweile viel besser.