Ängste zum Kneten und Kauen
Die Performer von SKART hatten zuletzt in der Studiobühne die »German Angst« untersucht. Nun haben sie gemeinsam mit Mobile Albania eine unerwartet »süße« Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Ängste und individuellen Sorgen unternommen. »Seele essen Angst auf« lautete der Titel – und den galt es durchaus wörtlich zu nehmen.
Was macht Angst mit uns? Wie können wir sie überwinden? Und wie viel Spaß kann man dabei haben?
Diese drei Fragen standen am Wochenende über der Aufführung »Seele essen Angst auf«, die das in Gießen gegrün- dete Performance-Duo SKART und die ebenfalls am Gießener ATW-Institut der Universität ins Leben gerufene Gruppe Mobile Albania gemeinsam schulterten. Nach einer drei- läufigen öffentlichen Generalprobe am Freitag folgten drei weitere Runden am Samstag, Start war an der taT-Studiobühne, von wo aus die Teil- nehmer mit Reiseleitung in ein Waldstück zwischen Reis- kirchen und Lich aufbrachen.
Schon die Fahrt mit dem Stadtbus war durchaus angstbeladen: Dass das an der Front
angeschriebene Ziel mit dem sprechenden Namen »Heuchelheim« nicht stimmen konnte, war das Eine; die Hinweise auf allerlei Zeugnisse am Weges- rand aus Gießens Angst-Ge- schichte – von den Spitzbunkern aus dem Zweiten Weltkrieg bis zur Shisha-Bar-Explo- sion in der Grünberger Straße (»Der Allee der Zeitlosigkeit«) – das Andere.
»Schreibt Eure Ängste auf einen Zettel und steckt ihn in diese kleinen Kugeln«, lautete die Aufforderung und alle im Bus folgten brav. Dass auf dem Weg eine gesichtslose Pelzgestalt an der B49-Haltestelle Ganseburg ein- stieg und die Gruppe am Ziel eine schwarzgekleidete Person mit Leuchtaugen empfing, schaltete das Kopfkino an.
Angst als Knetfigur und Kuchendeko
Und dann ging es, eine »Kosmologie der Albträume« im Gepäck, mit dem Stadtbus in den Wald, dort wo sich sonst nur Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Diesmal waren aber dort ein Strohbär, ein Sensenmann und zwei »Horrorclowns« anzutreffen. Auf Holzkisten sitzend, von Decken und heißem Tee gewärmt, erlebten die Teilnehmenden in der Folge eine Analyse aller Ängste, die sie zuvor auf Zetteln anonym notiert hatten.
Die Angst vor Einsamkeit, vor Demenz, einem Unfall oder davor, einen anderen Menschen zu verletzen – all das wurde umgesetzt mit einer aus einer Kiste heraus erzählten, frei erfundenen Geschichte, durch hinter einem Lupenglas irrwitzig verzerrte Gesichtsausdrücke und mit Kneten von kleinen Angstfiguren in einer weiteren Box.
Dass sich das bei den vielen notierten Ängsten ein wenig in die Länge zog, konnte man verschmerzen, denn unmittelbar danach riefen die »Horrorclowns« zu ihrer Jahrmarktbu- de, in der, wer wollte, mit einer Spielzeugpistole auf kleine Fondantbildchen seiner ganz
persönlichen Angst schießen konnte. Wer traf, bekam nicht nur ein Stück Kuchen mit dem Fondant-Angstbildchen darauf, sondern auch die entsprechende Knetfigur gereicht.
»Seele essen Angst auf« – hier wurde das wörtlich genommen. Ängste und Sorgen konnte man sich so einverleiben – und bei der anschließenden Heimfahrt zur taT-Studiobühne, mit angstvoll umgetexteter Schlagermusik im Ohr, vielleicht sogar verarbeiten.
Ein bisschen Kindergeburtstagsheiterkeit, hintersinniger Nonsense, überbordende Fan- tasie – »Seele essen Angst auf«, das im Rahmen einer Doppelpass-Förderung zeitgleich auch am Theater in Münster stattfand und dessen Titel auf den Faßbinder-Film »Angst essen Seele auf« anspielt, war eine nicht immer leicht verdauliche, aber durchaus unterhaltsame Extrem-Performance, die die Sinnlichkeit und Bildgewalt der SKART-Arbeit und das Thema des Unterwegssein von Mobile Albania durchaus stimmig und mit Humor zusammenführte.
Wenn Ängste sichtbar werden
Eine ganz besondere Theaterperformance der Gruppe SKART führt ins Unterholz – und zu interessanten Einsichten
Auf eine Reise ins Ungewisse begaben sich am Wochenende rund 80 Teilnehmer einer ungewöhnlichen Gießener Theaterperformance. Eingeteilt in jeweils drei Gruppen an zwei Abenden ließen sie sich auf das Wagnis „Seele essen Angst auf“ ein. Dass dieser Titel durchaus wörtlich zu nehmen war, wurde vielen allerdings erst im Laufe des Abends klar.
Ein Erlebnisbericht.
Los geht es an der taT-Studiobühne. Für das Publikum gab es zum nun folgenden Programm zunächst nur diesen Hinweis: Warme Kleidung und festes Schuhwerk werden empfohlen. So geht es dann vom Treffpunkt zu einem Bus mit der Aufschrift „Heuchelheim“ – einer der vielen kleinen falschen Fährten, die an diesem Abend gelegt werden. Ein Reisebegleiter nimmt jeden einzelnen Besucher in Augenschein und weist ihm einen Platz zu. Das endgültige Ziel bleibt dennoch lange ungewiss. Nach seltsamen Stopps am Straßenrand und dem Zusteigen eines von Kopf bis Fuß mit Fellen behangenen Wesens werden unterschwellige Befürchtungen genährt, auch wenn der redselige Reisebegleiter die Truppe mit allerlei unsinnigen Informationen füttert.
Gefährte in Fellkostüm
Irgendwo im Niemandsland hinter Gießen hält der Bus schließlich in einem Wald und die Gruppe wird eindringlich zum Aussteigen aufgefordert. So werden erste Assoziationen an Szenen bekannter Horrorfilme wach. Schließlich obliegt dem Wald schon immer ein gewisses Mysterium und schon dank der Märchen der Gebrüder Grimm hat wohl so ziemlich jeder junge Leser verinnerlicht, dass dort Gefahren lauern können.
Genau mit diesen Urängsten spielen die Theatermacher der aus Gießen stammenden und immer wieder hier inszenierenden Gruppe SKART, die diese Performance in Zusammenarbeit mit dem 2008 ebenfalls in Gießen gegründeten Performance-Kollektiv Mobile Albania sowie dem Stadttheater Gießen und dem Theater Münster entwickelt hat.
„Was tun wir, wenn Davon- laufen, Zuschlagen und Totstellen keinen Erfolg versprechen, aber die Angst immer noch da ist, lähmend, bedrückend, beklemmend?“ Mit diesen Fra- gen beschäftigt sich das rund zweieinhalbstündige Programm jenseits der bekannten Theaterbühnen. „Seele essen Angst auf“ ist dabei zugleich eine Anspielung auf den berühmten Film „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder, dessen Botschaft hier ins Positive gedreht wird.
Doch die Angst wird im Wald zunächst weiter verstärkt. War das nicht ein dunkler Schatten? Bewegt sich nicht etwas im Unterholz? Schleicht da nicht ein Sensenmann entlang? So ganz sicher kann man sich und seinen Sinneswahrnehmungen nicht sein. Und siehe da, wie bei Hänsel und Gretel taucht auf einer kleinen Lichtung mitten im Wald ein hell erleuchteter Kiosk auf. Statt einer Hexe laden hier allerdings freundliche Menschen zum Verweilen ein. Doch kann man ihnen auch trauen?
Das Spiel mit den Irritationen und dem Ungewissen ist also längst in vollem Gange. Vor den Bänken wird zudem ein weiterer Spielort sichtbar: Drei Holzkästen in unterschiedlichen Höhen, mit unterschiedlichen Funktionen. Markant und gut sichtbar ist die mittige Stele: Hinter einer Glasscheibe, von oben herabblickend, werden die Köpfe weiterer Darsteller sichtbar, suggestiv von unten beleuchtet mutieren sie zu unwirklichen Gestalten. Ein anderer Kubus beherbergt unsichtbare Erzähler, die aus zuvor notierten, anonymisierten Angstbekenntnissen der Teilnehmer eigene, improvisierte Geschichte ersinnen und in einer großen Bandbreite an Tonlagen vortragen. In einer dritten Box werden diese Horrorstories zeitgleich zu einer kleinen Voodoo-Puppe aus Fondant manifestiert. So werden Ängste sichtbar, greifbar und beherrschbar – und fein säuberlich aufgereiht im Kiosk der Ängste präsentiert.
Wer sich seinen Ängsten stellt, indem er auf sie schießt, bekommt zur Belohnung eine Jagdtrophäe in Form eines kleinen Kuchens. So kann der Mensch spielerisch mit seinen Ängsten umgehen, zumindest auf der Theaterplatt- form. Die Seele kann Ängste aufessen. Gestärkt und weitaus gelöster als bei der Hinfahrt geht es aus dem öffentli- chen Theaterraum zurück in die Realität, wie immer sie auch für jeden Einzelnen aussehen mag.
So wird dieser Waldspaziergang zu einer rundum gelungenen Performance, die zeigt, wie sich der Raum zwischen Realität und Spiel aufheben und vermischen lässt. Die Teilnehmer sind kein passives Publikum mehr, sondern maßgeblicher Teil des Gesamtkunstwerks.
Wie Mitglieder von SKART erklären, hat eine 15-köpfige Gruppe von freischaffenden Künstlern, die alle aus dem Studiengang der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen hervorgegangen sind, das Stück erarbeitet. Und das Interesse war groß: Sämtliche Vorstellungen waren ausverkauft und das Publikum war herrlich unterschiedlich: Theater für alle also. So soll es sein.
Begegnung mit Kontrollverlusten
„Angst essen Seele auf“ heißt ein berühmter Film von Rainer Werner Fassbinder. Eine facettenreiche Performance in Münster dreht den Titel ins Positive.
„Sie gehört zu mir wie ein Fluchtweg ohne Tür.“ Der Fahrer hört Schlager mit morbiden Texten. Der Reiseleiter, der eben noch mit einem schrägen Ritual das Publikum vor dem Theater begrüßt und die Plätze im Bus angewiesen hat, erweist sich als nicht vertrauenswürdig: „Wir biegen jetzt links ab, direkt nach Coerde“, flötet er ins Mikro. Kaum gesagt, startet das Gefährt in die entgegengesetzte Richtung durch. Dieser vermeintliche Führer ist ein Entführer. Und er gibt vertrauten Landmarken und Gebäuden von Institutionen neue, trostlose Namen: „Schule der Überforderung“, „Haus der verschwitzten Termine“, „Brücke der Beziehungslosigkeit“.
Dieses Spiel mit Irritationen und Ungewissheit setzt den Auftaktakzent von „Seele essen Angst auf“, einer facettenreichen und bildmächtigen Koproduktion der Performance-Kollektive SKART und Mobile Albania, des Stadttheaters Gießen und des Theaters Münster . Hinter dem ins Positive gedrehten, sprichwörtlich gewordenen Titel eines Melodrams von Rainer Werner Fassbinder verbirgt sich eine interaktive Inszenierung der Sorgen und Ängste des Publikums. Diese werden auf der Fahrt anonymisiert auf Zettel gebannt, zur späteren Interpretation durch Schauspieler.
Nach allerlei Wirrungen landet die Reisegesellschaft in einem Wald, von den fellbemützten Betreibern einer Schießbude begrüßt, bewacht von mysteriösen Figuren in überlebensgroßen Kostümen, Urviecher traditioneller Ängste: ein Laubwesen, ein Klotz aus Fell, ein schemenhafter Sensenmann. An zwei Stellen stehen je drei hölzerne Kästen. Hinter eingelassenen Sichtfenstern, die wie Monitore fungieren, schieben sich darin abwechselnd Köpfe von Darstellern zu maschinenartigen Geräuschen ins Bild. Mit starrem Ausdruck, suggestiv beleuchtet, ähneln sie Wachsfiguren, Puppen, Hologrammen. Weitere, in den kleineren Kuben verborgene Erzähler verspinnen die Angstbekenntnisse der Teilnehmer zu improvisierten Geschichten, mit großer Bandbreite an Genres und Tonlagen. Rührend klingen die Sehnsucht nach einem schönen Zuhause und die vorauseilende Verlustangst, grell die Überforderung im Job. Oft komödiantisch und persiflierend, aber auch mit Splatter-Elementen durchsetzt entstehen Skizzen unterschiedlicher Ängste vor Kontrollverlust: Je komplizierter das menschliche Leben zwischen Natur- und Technikwelten, desto vielfältiger die Sorgen, große, kleine, individuelle und kollektive. Angst, die Gesellschaft sei den Problemen von Umweltzerstörung und Fluchtbewegungen nicht gewachsen; Angst, bisherige Erfolge bei der Eindämmung der Corona-Pandemie würden leichtfertig verspielt. Laut grölt ein unbeeindrucktes Feierbiest durch den Wald.
„Seele essen Angst auf“ bietet, getreu dem Titel, auch eine kulinarische Begegnung mit den Sorgen: In der dritten Box sieht man Hände den jeweils geschilderten Grusel synchron als Kleinskulptur modellieren. Das Material ist Fondant, eine Zuckermasse. Am Schießstand, wo eine Angst nach Wahl mit einer Luftpistole aufs Korn genommen werden kann, gibt es auch die Chance, sich die Angst wörtlich einzuverleiben und zu verdauen – als skurriles Konfekt. Fresszellen, Marsch!
Schlecht erzogen
Das Licht ist gedimmt, der DJ spielt psychedelische Musik. Ein als Sonne verkleideter Mann läuft durch den Saal und verteilt Radieschen. Auf dem Boden fläzen Menschen auf Perserteppichen, manche Zuschauer tragen Windeln. "Miseducating Munich", die Konzertreihe für Kinder und Erwachsene, hat in den Münchner Kammerspielen Premiere. Angekündigt worden ist "Musik abseits des Lehrplans", und gemeinsam mit der im Namen enthaltenen "Miseducation", einer fehlgeleiteten Bildung, ergibt die Veranstaltung eine Stunde subversive musikalische Früherziehung mit einer eindrucksvollen Performance des Manchester Musikers Paddy Steer, der als extraterrestrischer Roboter ausgerufen wird.
Steer spielt auf einem eigentümlichen Bühnenaufbau als Ein-Mann-Band Schlagzeug, Lap Steel Guitar, ein verstärktes Glockenspiel und Hand Percussions, bedient Synthesizer und gibt Weltraumgeräusche von sich. Das ergibt einnehmenden Krautrock, der genauso in einem Szene-Club gespielt werden könnte. In einem solchen hat auch Sebastian Reier, seit Herbst Verantwortlicher für das Musikprogramm der Kammerspiele, Peddy Steer entdeckt. "Er hat unter der Woche gespielt, kaum einer war da. Ich dachte mir, das ist so genial, das muss man doch wann anders spielen - für Kinder und Erwachsene", sagt Reier. Er selbst legt im Rahmenprogramm der Veranstaltung als DJ Booty Carrell auf. Die Verbindung sei auch sinnvoll, "weil Eltern einfach weniger ausgehen können, vor allem Alleinerziehende", sagt Reier.
Die Erwachsenen haben besonders viel Spaß, tanzen und begeistern sich für die launigen Moderationen von Mark Schröppel, dem sarkastischen Sonnenmann. Er ist Mitgründer der Performance-Gruppe Skart und dem dazugehörenden Kollektiv "Masters Of The Universe", das generationenübergreifende Theaterprojekte realisiert. Schröppel nimmt den etwas anderen Bildungsauftrag beim Wort und erklärt den Kindern, dass es egal sei, was für Instrumente Steer spiele - bei Musik gehe es nicht um Wissen, sondern um Gefühle. Neben musikalischem Snobismus wird auch das Klischee vom konsumierenden Rockmusiker aufs Korn genommen. Die Kinder seien "viel zu klein und zu clever" für Alkohol und Drogen, aber Schröppel hat ein alternatives Suchtmittel parat und verteilt nach dem Motto "live fast, die young mit Diabetes" Cola an die Kinder. Zwischen den Songs wird auch die überholte Kulturtechnik des Musikerbewerfens mit Lebensmitteln einstudiert, die eingangs ausgeteilten Radieschen prasseln auf Paddy Steer herab. Der antwortet darauf mit funkig-abgespacten Rocksongs, die laut und wild vorgetragen werden. Dem Sonnenmann ist zu wenig Bewegung im Saal: "Wer nicht tanzt, hat verloren, und den letzten holt die Bundeswehr", ruft er. Daraufhin fliegen Kleinkinder durch die Luft, Väter und Mütter schütteln ihr Haupthaar - der vermeintlich außerirdische Paddy Steer hat den Alltag kurz weggebeamt.
Wert des Zusammenseins
Philipp Karau im Gespräch mit André Mumot
Die Performance-Gruppe SKART lädt am Stadttheater Gießen zu einem Schreckenstrip ein. Ihr Stück heißt „House of German Angst“. Dabei geht es nicht nur um den sorgenvollen Blick der Deutschen in die Zukunft, verspricht der Performer Philipp Karau.
Es ist ein international bekannter Begriff: die „German Angst“, die deutsche Angst. Man sagt uns nach, eine besonders besorgte Nation zu sein. Ist das ein Klischee? Oder tatsächlich so?
Was bedeutet das für ein Theater, das sein Publikum jetzt wieder in geschlossene Räume einladen möchte? Die Performancegruppe SKART nimmt sich nun dieses Themas in einem Doppelpassprojekt mit dem Stadttheater Gießen an. „House of German Angst“ heißt der Abend, der am 16. September Premiere feiert.
Der Performer Philipp Karau, der die Gruppe zusammen mit seinem Kollegen Mark Schröppel ins Leben gerufen hat, erklärt was die Abkürzung SKART bedeutet: „Schröppel Karau Art Repetition Technologies.“ Ein ironischer Bezug zu großen Firmennamen und zugleich ein Verweis auf das Skart-Kabel, das in technisch komplexen Produktionen natürlich eine große Rolle spielt.
Die Arbeit an ihrem aktuellen Projekt reicht dabei schon eine Weile zurück. „Das Interesse an dem Thema ist schon vor einigen Jahren entstanden“, wie Karau berichtet, „als noch die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 stark nachwirkte“.
Das Aufkommen populistischer Strömungen, wie die Pegida-Bewegung, habe ebenfalls starken Einfluss gehabt. „Von daher war uns das in der Zeit recht präsent. Wir haben uns dann überlegt: Wie können wir das in einen pointierten Ausgangspunkt bekommen. Da war es naheliegend, als Deutsche, die hier in diesem Land leben, das mit dem Schlagwort ‚German Angst‘ zu verbinden.“
Angst, das hat ihre Recherche ergeben, ist keineswegs auf unser Land beschränkt. Es gebe aber doch etwas Typisches: „Vielleicht ein sorgenvoller Blick in die Zukunft oder in einer gewissen Art Bedenkenträger zu sein.“ In der Coronazeit habe die Angst aber auch ihre positiven und konstruktiven Seiten gezeigt, wie Karau einräumt:
„Ein Stück weit kann man schon wahrnehmen, dass das vielleicht die Solidargemeinschaft gestärkt hat oder man sich in einer gewissen Weise auch für das Miteinander sensibilisiert hat, darauf, auch auf andere Menschen zu achten. In dem Moment, wo man auch ganz bewusst den direkten Kontakt zu anderen meidet, wird einem vermutlich auch der Wert von sozialen Interaktionen und vom Zusammensein noch mal ganz anders klar.“
In der Aufführung erwartet das Publikum eine museale Situation und ein Raum voller Performerinnen und Performer – halb verletzliche Hautwesen in Latexmasken, halb beängstigende Zombies. Die Gruppe habe bald festgestellt, „dass es für uns nicht infrage kommt, diverse Ängste auszustellen, zu verwerten, zu verarbeiten und zu überarbeiten; eben auch Ängste, die jetzt mit Rassismus, mit Überfremdung, mit dem Hass zu tun haben, sondern dass wir einen subjektiven Blick auf das Thema Angst gewählt haben“.
Horrortrip im »House of German Angst«
Was ist Angst? Und welches konstruktive Potenzial hat sie? Darum geht es in »House of German Angst«. Die Performance der Gruppe SKART ist an vier Abenden auf der taT-Studiobühne zu sehen.
Angst hat viele Gesichter. Sie kann lähmen und antreiben, kann durch Erlebnisse ausgelöst werden, aber in ihrem Ursprung auch diffus bleiben. Und dann gibt es noch die sprichwörtliche Angst der Deutschen: vor dem Fremden oder der Zukunft im Allgemeinen. Die Performancegruppe SKART spürt dem an vier Abenden in der taT-Studiobühne nach - in der für ihre Arbeit typischen Ästhetik und mit einer am Ende doch eher banalen Erkenntnis, wie man sich aus dem »House of German Angst« befreien kann.
Die Figuren bleiben in ihren farblich an Fleischwurst aus dem Discounter erinnernden Latexanzügen gesichtslos. Augen- und Mundloch, mehr braucht es nicht, um die Schauspieler Paula Schrötter und Pascal Thomas die folgenden 60 Minuten überleben zu lassen - im von Sandra Li Maennel Saavedra gestalteten Bühnenbild mit zwei großen Glaskästen links und einem schwarz-weißen Vorhang hinten. Denn so wie die Performer Janna Pinsker, die fast durchgängig als überdimensionaler Angsthase mit Panzerband an der Rückwand festgeklebt ist, Mark Schröppel, der auf der Suche nach Grenzerfahrungen in einem vakuumierten Würfel nur durch ein Röhrchen Luft bekommt, oder Ossian Hain, der sich als eine Mischung aus gruseligem Strohbär und Riesenbazillus aus einem schwarzen Bällchenbad gleiten lässt, durchleben sie unterschiedliche Formen der Angst: Platzangst, Angst vorm Ersticken, vor Krankheiten, vor dem Alleinsein oder großen Menschenmassen.
Diese Angst kann auch schon mal in hilflose Wut umschlagen, wenn etwa Paula Schrötter auf einen Holzbalken eindrischt. Zuvor hat sie minutenlang in betont ruhigem Singsang erzählt, wie es sich anfühlt, wenn man erwacht und spürt, dass etwas Bedrohliches im Haus ist und immer näher kommt. Da bekommt es auch der Zuschauer ein wenig mit der Angst zu tun, ob es in der Folge mit diesem monotonen, fast gefühllos wirkenden Rezitieren weiter geht. Doch dem ist natürlich nicht so, denn SKART sind bekannt für starke Bilder und überraschende Wendungen und begleiten die Zuschauer durchaus faszinierend auf dem assoziationsreichen Horrortrip, der allerdings greifbare Ängste aus dem Jahr 2020 zu Pandemie, Wirtschaft oder Politik eher außen vor lässt.
Beschwerliche Katharsis
Doch neben den ganz persönlichen Angstszenarien, die zu hämmernden Beats und mit Windmaschine zelebriert werden, geht es natürlich auch um das Stereotyp der in Pandemie-Zeiten gar nicht mehr so typisch deutschen »German Angst«, die sich in Hamsterkäufen ausdrücken kann, aber auch in Unbehagen im Umgang mit Flüchtlingen. Stimmen aus dem Off sprechen Sätze, in denen von für sie irritierenden Begegnungen mit Fremden die Rede ist.
Doch wo Angst ist, braucht es auch eine Lösung. Janna Pinsker schält sich am Ende, in nicht nur für sie quälend langen Minuten, aus ihrem Panzerband-Kokon, der sie wie in einer Kreuzigungsszene fixiert hatte. Zentimeter für Zentimeter löst sie das Band und entkommt ihren Fesseln. Wir müssen uns unserer Angst stellen und uns aus eigener Kraft von ihr lösen.
Ein Alptraum ohne Schlaf
Theaterperformance der Gruppe Skart widmet sich auf der taT-Studiobühne einem vermeintlich besonders deutschen Gefühl
Die häufigsten deutschen Ängste im Jahr 2020: Trump und seine Folgen, steigende Lebenshaltungskosten, Einbruch der Wirtschaft – in dieser Reihenfolge. Die Angst, an Corona zu erkranken, liegt abgeschlagen auf Platz 17, so trug es eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Langzeitstudie zusammen. Alles eher ein Ausdruck von Reflexion statt von Affekten, ließe sich da folgern. Das „House of German Angst“ hingegen bietet keine Räume für solch konkrete Ängste. Stattdessen versucht das Gießener Theaterkollektiv Skart, mit seiner neuen Produktion zum existenziellen Kern dieses Gefühls durchzudringen. Am Donnerstagabend feierte die assoziative Performance ihre Uraufführung auf der taT-Studiobühne, die Darstellern wie Zuschauern einiges abverlangte.
Die Ängste, die hier verhandelt werden, haben tatsächlich nichts mit Zeitphänomenen wie einem irrlichternden US-Präsidenten, einem sich weltweit verbreitenden Virus oder auch nur einem in den englischen Sprachgebrauch eingegangenen deutschen Phänomen zu tun. Was die beiden Theatermacher Mark Schröppel und Philipp Karau interessiert, sind vielmehr die Tiefenschichten der allgemein menschlichen Psyche, die sie über lose aneinandergereihte Bilder, Klänge und Texte freilegen. Los geht das mit einer Situation, die entfernt an Kafkas in einen Käfer verwandelten Gregor Samsa erinnert. Ein Erzähler (Kind?) liegt nachts im Bett und lauscht, wie zwei Menschen (Eltern?) die Treppen hinaufsteigen und sich dabei langsam, leise und vorsichtig immer weiter seinem Zimmer nähern. Paula Schrötter spricht diesen Monolog, der detailliert und wie in Zeitlupe physische Körperreaktionen beschreibt, die durch ein aufsteigendes Bedrohtheitsgefühl ausgelöst werden. Dabei steckt die Schauspielerin in einem fleischfarbenen Ganzkörperanzug, der nicht nur ihr Gesicht zur Fratze macht, sondern auch die Konturen ihrer Gestalt ins Irreale verzerrt.
Ganz ähnlich die Haut, in der Pascal Thomas steckt. Auch hier ein Hinweis auf die Nacktheit und Verletzlichkeit des Fleisches, während der Schauspieler von der sich steigernden Furcht eines bedrohlichen Verfolgers erzählt. Auf der zunächst weitgehend leeren Bühne wirken die beiden Darsteller in ihren grotesken Aufmachungen dabei wie einem Kinoschocker entsprungen. So erzählen sie auf mittelbare Weise von einem das Gehirn beherrschenden Gefühl, das entsteht, wenn man „aus einem Alptraum erwacht und feststellt, dass man gar nicht geschlafen hat“, wie Thomas feststellt.
Doch die Skart-Autoren ziehen die Schraube im Laufe der 60-minütigen Spielzeit sogar noch weiter an. Mark Schröppel selbst steckt über die gesamte Stunde in einer Kiste verborgen fest, die nur sein grotesk verzerrtes Gesicht erkennen lässt. Ein Bild, das an die weiße Maske aus der Horrorfilmreihe „Scream“ erinnert. Und Ossian Hain, von einer Art Fell umhüllt wie ein hilflos tapsiges Tier, lässt irgendwann eine Lawine schwarzer Kugeln aus einer Glasvitrine in den Bühnenraum kippen, die er anschließend mit einem mächtigen Gebläse zwischen die Publikumsbeine pustet. Emotionen, die in harte, dunkle Bilder übersetzt werden. Ossian präzisiert anschließend in einem weiteren Monolog, was das von solcherlei Symbolik umkreiste Gefühl im Kern ausmacht: „Wir haben Angst davor, uns dem Fremden auszusetzen.“ Womit sich natürlich doch noch ein Bogen zu aktuellen Dramen aller Art schlagen ließe.
Doch Konkretes bleibt in dieser Performance weitgehend außen vor. Erst kurz vor Ende des schaurigen Spiels lassen die Theatermacher eine Toncollage von Band abspielen, in denen verschiedene Menschen wie ein antiker Chor über ihre eigenen Ängste Auskunft geben. Ansonsten setzt dieses neue Skart-Projekt auf verschiedene mehr oder weniger schlüssige Versatzstücke, die Theatergänger schon aus früheren Produktionen kennen. Dunkle elektronische Soundschnipsel, Folien, mit denen Gesichter und Körper entstellt werden, stummes Körperspiel. Eins der eindrücklichsten dieser Bilder gelingt ganz am Ende: Da befreit sich die unter einem riesigen (Angst-)Hasenkopf von den Füßen bis zum Hals mit Gaffer-Tape an die Bühnenrückseite festgeklebte Janna Pinsker unter allergrößten Anstrengungen minutenlang von dem Material, das sie dort so lange festhielt. Wohl lange nicht mehr ist ein Darsteller im Stadttheater körperlich so gefordert gewesen. Doch immerhin: Das fesselnde Band, die fesselnde Bedrohung kann sie schließlich hinter sich lassen.
Übrigens: Eine Angst ganz anderer Art müssen Besucher vor der Idee haben, Theateraufführungen auch künftig auf lehnenlosen Sitzhockern beiwohnen zu müssen. Mehr als eine Stunde möchte man wahrlich nicht darauf verbringen. Zumindest diese Furcht ließe sich dem Publikum leicht nehmen. Indem es künftig wieder auf Stühlen Platz nehmen darf.