Selbst beim Zahnarzt keine Angst
Anarchisch-komische Interpretation des bekannten Grimm'schen Märchens auf der Theaterbühne
Ist Angst etwa ein Hobby der Erwachsenen? Macht Angst sogar Spaß? Auf eine verstörend-komische Reise auf der Suche nach der Angst begibt sich der Hauptprotagonist der interaktiven Musicalperformance „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“, die am Dienstagmorgen Premiere auf der TIL-Studiobühne feierte.
In der anarchisch komischen Interpretation des Märchens der Brüder Grimm erforschte das Kollektiv SKART, bestehend aus ehemaligen Studenten der Angewansdten Theaterwissenschaften in Gießen, das Thema Angst in all seinen Ausdrucksformen. Als Inbegriff des Bösen entsteigt zunächst ein finsterer, schwarz gekleideter Death-Metal-Typ einem Papierkokon unter der Bühnendecke und versucht auf der mit rotem, aggressivem Lack ausgelegten Bühne im Publikum Angst und Schrecken zu verbreiten. Dieser Versuch misslang jeoch gründlich.
Aber genau hier setzt das temporeiche, wild-chaotische und kreative Stück an. Der „eine, der auszog“ kommt aus einer Familie, wo er neben den alltäglichen Ängsten der Eltern, Großeltern und Geschwister wohl behütet zwischen „Sanddorn-Bio-Fruchtschnitte“ und Tennisunterricht aufwächst. Selbst komplett furchtlos, packt ihn eines Tages die Neugier, wo diese Angst überhaupt zu finden ist.
Nahezu herausfordernd begibt er sich in alltägliche Angstsituationen, die dem schier unerschütterlichen Bengel im rosafarbenen Teddybär-Schlafanzug und der Karlsson-Propeller-Mütze jedoch nichts anhaben könne. Weder die traktierende Behandlung in der Angstpraxis eines Zahnarztes, in welcher mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Publikum Lollibohrer und wasserspritzen zum Einsatz kommen, noch die Begegnung mit dem Tod in Form eines etwas tollpatschigen, unförmigen Sensenmannes können ihn das Fürchten lehren.
Durch die mehrschichtige Collagentechnik des Stückes, die mit Hilfe von eingespielten, parallel laufenden Videosequenzen erzeugt wird, wird der Betrachter jedoch in zweiter Ebene hinter aller Komik mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert. Etwa die grauenerregenden Bilder einer brutalen Zahnbehandlung, die kontrastreich zum turbulenten, eher witzigen Geschehen auf der Bühne fungierten. Zudem werden hier Klischees aufgegriffen, die beispielsweise mit massiven Markenwerbeblöcken die Angst „nicht dazuzugehören“ symbolisierten. Am Ende der Aufführung, die in einer turbulenten Kriegsszenerie mit rosa Maschinengewehren und fast allen Anwesenden auf der Bühne in einem riesengroßen Schlachtfeld endet, hatten wohl alle wenigstens kurze Erinnerungen und Bilder der eigenen Ängste vor Augen – wenn auch icht unser Hauptprotagonist.
Im anschließenden Gespräch mit Abdul M. Kunze, dem Leiter des Kinder- und Jugendtheaters, konnten die Gäste offene Fragen klären, eigene Angstsituationen schildern und zudem die beiden Darsteller mit Fragen bombardieren. Philipp Karau und Mark Schröppel bilden das Kollektiv SKART, das sie im Zuge ihres gemeinsamen Studiums der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen gründeten. Sie arbeiten seit 2009 mit dem Münchener Künstler und Bühnenbildner Stephan Janitzky zusammen und verwirklichen Projekte im Bereich multimedialer, bildender Kunst und von elektronischer Musik geprägte Theaterstücke.