Die Gießener Performancegruppe SKART steht für trashiges und collagierendes Theater. Ihre bizarren Bildwelten sind tief im popkulturellen Gedächtnis Westeuropas verankert, ihre Arbeiten sind augenzwinkernd und politisch. Ihr neues Stück ist eine Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Gegenwart von Protestkulturen.
Untersucht werden soll, was geblieben ist von den Utopien, Idealen und der Aufbruchsstimmung; ob Bewegungen wie zum Beispiel Punk, die Black Panther, die Grünen, die Piraten und die Münchner Räterepublik ihre Integrität bewahren konnten oder wollten. Das Theater Augsburg trifft auf ein postdramatisches Performance- Kollektiv: kontrovers, experimentell und jeden Abend neu.
(Programmtext Theater Augsburg)
SKART sind: Sebastian Baumgart, Judith Bohle, Oliver Brunner, Markus Christ, Miriam Fehlker, Stephan Janitzky, Philipp Karau, Stephanie Kayß, Lea Sophie Salfeld, Mark Schröppel
Eine Produktion von SKART und dem Theater Augsburg.
Die SKART-Performance in der Brechtbühne – eine Begegnung
Philipp Karau und Mark Schröppel sind SKART – jenes Performance-Duo, das derzeit in der Augsburger Brechtbühne das Stück “Mein Freund, der Baum” zeigt. Judith Bohle spielt darin eine der beiden weiblichen Rollen. Oliver Brunner ist Dramaturg am Theater Augsburg. Im Foyer der Brechtbühne haben wir uns unmittelbar vor der dritten Aufführung über das Stück und seine Wirkungen unterhalten – neben einem Verriss in der Augsburger Allgemeinen und gemischten Publikumsreaktionen gehören dazu mittlerweile auch einige böse Leserbriefe mit zweifelhaftem Niveau.
Ein Rechtsanwalt aus dem Osten (der Name ist der Redaktion nicht bekannt) ist prototypisch für die sehr erregten Schreiber: Er habe gelesen …, verkündet der Jurist in einem Schreiben ans Augsburger Theater – und macht damit gleich mal klar, dass er das Stück gar nicht gesehen hat. Anschließend bombardiert er die Verantwortlichen mit juristischen Konvoluten und der Drohung, er werde sich an die wichtigen Sponsoren wenden, um Ähnliches zukünftig zu verhindern. Dass der Schreiber unter anderem den Namen des Dramatikers Samuel Beckett nicht richtig zu schreiben weiß, muss nicht verwundern.Philipp Karau gibt sich gelassen: Vor allem im Theater habe er durchaus heftigere Reaktionen erwartet. “Viele warnende Stimmen” habe es vor der Premiere gegeben, doch die “Angst vor dem Abo-Publikum” habe sich nicht bewahrheitet. Mittlerweile ist das Publikum beim “Baum” gemischt: Es kommen diejenigen, “die sich immer jedes Stück anschauen”, und gleichzeitig solche, die von der Diskussion darüber angelockt werden – “und in beiden Gruppen gibt es solche, die das Stück gut finden, und solche, denen es eben nicht gefällt.” Nach Ende der zweiten Vorstellung habe ein Zuschauer noch vor Einsetzen des Applauses seinem Ärger mit einem heftigen “Gott sei Dank!” Luft gemacht. Andererseits, so Karau, habe ihm in einer Augsburger Kneipe ein älteres Ehepaar zum Stück gratuliert: Die beiden fanden “Mein Freund der Baum” super und hatten lange darauf gewartet, dass “so etwas” auch mal in Augsburg zu sehen sei. Auch Mark Schröppel hatte gewisse Befürchtungen vor der Premiere: Er stammt aus Augsburg, ist hier zur Schule gegangen, glaubte, das Publikum und die Medienlandschaft zu kennen und hatte erwartet, “dass die Leute scharenweise buhen und rausgehen.”
Quietschbunte Bilder und lauter Elektrorock
So weit kam es nicht. Und dafür gibt’s ja auch, eigentlich, keinen Anlass, selbst wenn Schröppel und Karau nicht gerade vorsichtig mit den Emotionen des Publikums umgehen. Vor allem hauen sie ihm in hoher Geschwindigkeit und großer Lautstärke quietschbunte Bilder und sehr lauten Elektrorock um Augen und Ohren – die Musik ist oft zu laut, um die Texte zu verstehen, die Bilder wechseln zu schnell, um sie einzuordnen, die Botschaften sind zu verschlüsselt, um ad hoc Sinn und Unsinn zu trennen und sich sorgsam mit dem Geschehen auseinanderzusetzen. Das aber hat Methode: Es sei ja gerade das Schöne an ihren Performances, sagt Karau, “dass viele unterschiedliche Dinge passieren – denn das lässt viel zu.” Unter anderem will SKART dem Publikum zumuten, “zu akzeptieren, dass man eben nicht alles versteht.” Der Komplexität des Themas komme eine solche Vorgehensweise weitaus näher, “als wenn man ein enges Regiekonzept hat, in dem die Antworten schon enthalten sind.”
Apropos Thema: Es geht um Protest in dem Stück. Ein zuckersüßer Vortrag von Judith Bohle gleich zu Anfang mag noch dazu verführen, harmlos Ökokritisches à la “Wir haben nur eine Welt” zu erwarten. Wenig später allerdings wird das Publikum per Katapult mit riesigen Gummipenissen beschossen, erklären Rechtsradikale, warum sie keine “Ausländer” mehr haben wollen, singen schwarze amerikanische Schulkinder Hassparolen gegen “weiße Schweine”, wallfahrtet eine katholisch anmutende Prozession hinter einem Foto von Claudia Roth her. Skandalträchtigste Szene: Im Rahmen eines hippieesken Tanzes um einen großen Plastikkopf wird dessen Inneres gefüllt mit einer Mischung aus 1 Eigelb, 1 Fläschchen Pikkolosekt, 1 Schamhaar (live abgeschnibbelt) und 1 Schuss Urin (ebenfalls live produziert). Und, ja, die beiden Männer sind meistens nackt, mal unterm Lack-Mini, mal unterm Priestergewand und mal gar nicht verdeckt, in einer Szene kommt noch eine nackte Frau hinzu.
Provokation, na klar, sagen Schröppel/Karau – aber nicht als Selbstzweck. Zunächst mal ganz theoretisch: Es sei Grundprinzip jeder Art von Kunst, Kommunikation herauszufordern, Reaktionen zu erzeugen, Auseinandersetzungen zu provozieren. Aber an 08/15-Reaktonen wie “Buh” und demonstrativem Rausgehen sei ihnen nicht gelegen: Das sei auch “ein Generationending”, meint Karau, vor allem ältere Menschen wüssten ihrem Unmut und ihrer Verunsicherung oft nicht anders Luft zu machen, fühlten sich überfordert. “Wenn wir wollten, dass die Leute raus rennen – das könnten wir besser!”, beteuert er. Schröppel fügt hinzu, etliche Zuschauer lehnten den Zwang ab, selbst Stellung zu beziehen, sich mit dem Vorgebrachten auseinanderzusetzen: “Wir lösen die Forderung von Schillers Don Carlos ein – wir geben fünfzigfach Gedankenfreiheit.” Ein Teil der Leserbriefschreiber aber gehe mit dieser Freiheit “faschistisch an das Stück ran” – Schröppel meint damit die Forderung nach Ge- und Verboten auf dem Theater und “die Unfähigkeit, mit dieser Freiheit umzugehen.”
Es gibt zum Glück auch andere Zuschauer. Immer wieder hören die beiden den Kommentar, man müsse sich das Stück eigentlich zwei- oder dreimal ansehen, um mehr davon zu verstehen. Und dass nach den Vorstellungen eifrig diskutiert wird, hat auch Oliver Brunner festgestellt. Er stellt den Abenden kurze Einführungen voran, in denen er vor allem appelliert, man solle offen bleiben, das Stück auf sich wirken lassen. “Allein das bewirkt schon”, so Brunner, dass die Leute viel entspannter mit der Performance umgehen: “Es ist sehr lebendig danach”.
Dass manche rausgehen, ist durchaus legitim
Ist es eine schwierige Entscheidung, an solch einem Stück mitzuarbeiten? Schauspielerin Judith Bohle sagt, sie habe schnell zugesagt: “Ich hab’ mich interessiert für diese beiden Menschen, die sich in sehr einleuchtender Weise mit vielem auseinandersetzen, was ich kenne.” Dass dabei der Matrosenaufstand von 1918 mit “veganer Permakultur” und der Sesamstraße in einen Topf gerührt wird, dass Tabus mal gebrochen, mal zur Schau gestellt werden, dass Schlingensief zitiert, bewusst schlecht geschauspielert und gleichzeitig auf sehr hohem Niveau Theatertheoretisches umgesetzt wird, dass parodiert, geäfft, gelacht, dass mit Vermittlungsweisen und Rezeptionserwartungen gespielt wird – das alles kann man griesgrämig, aber auch mit Humor hinnehmen. Manche Szenen, die man Tage später immer noch nicht enträtselt hat, mögen ja bewusst eingesetzt worden sein, um den intellektuellen Allesversteher in die Irre zu führen. Über sowas darf man sich auch ärgern, selbstverständlich. Karau findet es daher “toll”, dass manche Zuschauer gehen: “Das ist legitim. Wir wollen doch keinen Zwang ausüben, und wir wollen genau nicht, dass die Zuschauer wegen der Etikette sitzen bleiben.”
“Skandal”, “Verschwendung von Steuergeldern”, wie die Briefeschreiber meinen? Aus der entgegengesetzten Blickrichtung könnte man dies auch ungleich teureren Produktionen unterstellen, beispielsweise der Augsburger Verdi-Premiere am vergangene Samstag. Eine völlig abstruse Handlung, garniert mit reichlich veralteter Musik, die die Kitschgrenze bisweilen mühelos überspringt – Kritiker könnten nicht ganz grundlos argumentieren: Ein überkommenen Traditionsdenken führe dazu, dass das Theater für “solchen Quatsch” Unsummen zum Fenster rauswerfe. Karau/Schröppel tun das nicht. Sie argumentieren mit einer erstaunlich integeren, aufrichtigen Ernsthaftigkeit für ihr Theater der schrankenlosen Freiheit. Das muss nicht, kann aber gefallen. Skandale jedenfalls finden anderswo statt.
Plastikschädel und Gummipenisse
Am Donnerstag, den 3. Oktober feierte die freie Performancegruppe SKART mit »Mein Freund der Baum« auf der brechtbühne Premiere und hat dabei sicherlich niemanden gelangweilt.
Das Rezept für einen Götzen: Ein wenig Sekt, ein Ei, eine Strähne Schamhaar, Spucke von allen anwesenden und - ganz wichtig - frisch abgelassenes Urin. Das Ganze wird dann in einem übergroßen, leuchtenden und durchsichtigen Plastikschädel durchgeschüttelt und über dem Publikum aufgehängt. Die Skurrilität solcher Momente war keine Seltenheit bei der Premiere von »Mein Freund der Baum«, einer Kooperation der freien Gruppe SKART und des Stadttheaters. Dass diese Art des Performancetheaters natürlich nicht jedem schmeckt, einige nur amüsiert und andere wahrhaftig schockiert, konnte man leider an dem etwas dünnen Applaus am Ende der Vorstellung feststellen. Allerdings zeigt SKART nicht einfach nur Penisse oder schleudert aufblasbare Nachbildungen derselben mit einem selbstgebastelten Katapult ins Publikum. Die Klammer des Abends war das Themenfeld »Protest«, das als Ausgangspunkt für die Performance gilt. So collagieren sie Audio-, Videomaterial und Fremdtexte von Erich Honecker über Valerie Solanas und Angela Davis bis hin zu Oskar Maria Graf mit ihrer performativen Darstellung. Auch wenn sicherlich die Bildgewalt und Reizüberflutung primär im Vordergrund des Abends steht, so scheinen die geschaffenen Bezüge und Querverweise dieses achronologischen Rundgangs durch die Protestgeschichte durchaus ein Gefühl für das Themengebiet zu vermitteln. Denn die gesamte Performance spielt mit Annahme und Ablehnung, zwingt den Zuschauer sich zu positionieren und hat am Ende sicherlich niemanden gleichgültig gelassen.
Protestkeule im Dauereinsatz
Eine knallbunte und brachial komische Retrospektive der Protestkultur vergangener Jahrzehnte ist die Performance Mein Freund der Baum, präsentiert wird sie von der Gießener Gruppe SKART, angeführt von Philipp Karau und Mark Schröppel, flankiert von Augsburger Schauspielern (Judith Bohle, Lea Sophie Salfeld, Sebastian Baumgart). Der Titel erinnert an bundesdeutsche Schlagerseligkeit - ist aber zugleich Ausdruck des aktuellen Protests gegen die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts.
Die über einstündige provozierende Collage mit Reminiszenzen an die Münchner Räterepublik, die Black-Panther-Bewegung, die ausgebeuteten Amazonas Indianer und vieles andere mehr, gräbt längst vergessene Stilmittel aus und präsentiert sie in neuem Licht der Öffentlichkeit: die altehrwürdigen Happenings der späten Sechzigerjahre zum Beispiel oder die aggressiven Eskapaden von Jérôme Savarys Le Grand Magic Circus, mit dem er in den siebzigern auch hierzulande das Publikum schockierte. Comic-Helden, lasziv gewandete Nonnen, eine ganze Fraktion der Heilsarmee und eine gesichtslose Papst-Marionette tummeln sich vor einer in allen Farben brüllenden Videowand, zugedröhnt von einer wummernden Bassgitarre und umstellt von „Kampfmaschinen“ (so das Programmheft), darunter ein mittelalterliches Katapult, mit dem man überdimensionale Gummi-Penisse und andere Leckereien ins mehr oder weniger amüsierte Publikum schleudert.
Dazwischen wenig leichtfüßiger Witz, viel plakativ zur Schau gestellte Nacktheit, viel papierene Rhetorik aus dem Politologie-Oberseminar, ein gerüttelt Maß an Nonsens-Ulk aus dem Studententheater und zum guten Schluss noch ein entfesseltes Ringelreihen-Gehopse aus der apokalyptischen Phase eines Kindergeburtstages: alles nicht so ganz brandneu.
Gefehlt hat lediglich das Eingreifen der Polizei wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, weil erst dann die große Sehnsucht aller Avantgarde erfüllt worden wäre: der Übergang von Kunst in Leben. So aber bleibt neben dem verdienten Respekt für ein Ensemble, das an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit geht, nur höflicher Beifall des Establishments.
(Hanspeter Plocher, Bayerische Staatszeitung, Oktober 2013)